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Maßschneiderei – klingt gut, oder?
Ein wenig altmodisch, auf jeden Fall ein Garant für Qualität und – am wichtigsten – die Herstellung von Kleidung, die nur einem Menschen und seinen spezifischen Maßen wirklich passt.
Ich möchte euch heute einen Einblick in die Maßschneiderei bieten, und was es eigentlich heißt, ein Kleidungsstück auf Maß zu nähen.
Hinweis: dieser Beitrag wurde aus meiner Sicht, als ich noch „offiziell“ Aufträge angenommen habe, geschrieben.
Jeder Maßschneider arbeitet etwas anders, also ist das hier kein Leitfaden oder Din A 0815 für die perfekte Vorgehensweise…
Schritt 1.: Was darfs denn sein?
Ganz wichtig, bevor auch nur eine Naht genäht werden kann – ich muss wissen, was mein Kunde/Opfer/Versuchskaninchen 😉 eigentlich haben möchte.
Dafür gibt es die Modellzeichnung(en), wenn es historisch werden soll, kommen Nachweise (historische Vorlagen) hinzu.
(… kann dann in etwa so aussehen…)
Außerdem suchen wir den passenden Stoff und anderes notwendiges Material (Knöpfe usw) aus.
-> (Dauer: ca. 1/2h bis oben offen…)
Wenn ich für mich nähe, artet das manchmal ein bisschen aus. Ich sammle Vorlagen, Inspirationen, Bilder, Stoffschnipsel, mache Notizen und kritzel so lange, bis ich einen ziemlich genauen Plan davon hab, was es werden soll.
2.: Versessen aufs Vermessen!
Das Ausmessen ist einer der wichtigsten Punkte in der Vorbereitung, sonst könnt ich ja das „Maß“ in der Schneiderei gleich über Bord hauen – ich brauch es immerhin für Punkt…
-> (Dauer: ca. 1/2h)
3.: Der Schnitt. Manchmal auch der goldene.
Nach den Maßen meines Kunden/ meiner Kundin entsteht zuerst ein Grundschnitt, der dann nach den individuellen Anforderungen des Modells geändert wird.
4.: Das Probeteil/die erste Anprobe
Weil ich meine Kunden nicht immer selbst ausmessen kann und so ein Schnitt in den seltensten Fällen gleich perfekt passt, nähe ich ein Probeteil aus Baumwolle.
-> (Dauer ca. 1 – 3h)
Das wird anprobiert, ich male drauf rum, zeichne neue Ausschnittverläufe, wo Taschen hin sollen, wo Knöpfe sitzen, wie viel schmaler die Schulter wird usw.
Danach ändere ich den Schnitt, je nachdem welche Änderungen ich am Probeteil markiert habe.
(Vielen Dank an Bea 🙂 )
-> (Dauer ca. 1/2 – 2h)
5.: Aufschnitt! Äh, Zuschnitt
Dieses Mal aber wirklich mit dem guten Stoff.
Wenn es sich irgendwie einrichten lässt, plane ich eine zweite Anprobe an, um die entgültige Saumlänge festzulegen und noch einmal die Passform und vor allem den Sitz des Ärmels zu überprüfen.
Leider ist das nicht immer möglich, also nähe ich das gute Stück in einem Rutsch fertig.
-> (Dauer: manchmal nur 5, gelegentlich auch mal 20 Stunden)
6.: Angucken. Freuen. Kontrollieren.
Ist das gute Stücken subjektiv betrachtet „fertig“, schau ich es mir noch einmal ganz genau an, schneide Fädchen ab, bügel die Nähte noch einmal aus und Knitter weg, kontrolliere ob ich alle sichtbaren Heftfäden entfernt habe, die Ärmel richtig herum eingenäht sind 😉 usw und – das ist das Beste daran – nähe mein Schildchen ein.
(Keine Fädchen? Fussel? Alle Knöpfe dran?)
-> (1/4 – 1/2h)
7.: Glückliche Kunden. Hoffentlich.
Zum Schluss gehen die meisten fertigen Stücke in die Post und ich bin leider nicht immer dabei, wenn sie bei ihrem neuen Besitzer anprobiert werden. Also hocke ich daheim und knabber an den Nägeln, bis ich ein „Juhu, wie toll!“ oder „Wasn das für ein Kartoffelsack“ als Reaktion bekomme 😉
Sollte jedoch die finale Anprobe in meiner Gegenwart statt finden, zupfe ich am Endprodukt herum, überprüfe den Sitz und finde meistens noch was zum optimieren. Besser geht immer.
-> (0 bis x Stunden 😉 )
Warum dieser Blogbeitrag?
Kleidung hat im 21. Jahrhundert deutlich an Wert verloren. T-Shirts gibt es für 2€, und da alles irgendwie aus Stretch gemacht ist bzw Elasthan enthält, wissen wir nicht mehr, wie gut sitzende Kleidung eigentlich aussieht.
Immer wieder erlebe ich, dass Leute in Larp-Flohmarkt-Gruppen nach „schönen, aber nicht zu teuren“ Klamotten Ausschau halten und dann von realistischen Preisen völlig entsetzt sind.
Wieviel Aufwand steckt in Maßarbeit? Das wollte ich euch nahe bringen.
Habt einen schönen Abend!
Euer Nadelweib