Schlagwörter
Dokumentation, Grande Assiette, Historisch, Kleid, Moy Bog, Nadelweib
Mittelalterliche Schnitte
so originalgetreu wie möglich nacharbeiten kann zu einem echten Abenteuer werden.
So eins erlebte ich mit dem „Moy Bog“-Kleid – einem textilen Fund aus dem Jahre 1931 in Irland / County Moy.
Leider wurden weder die Überreste der Frauenleiche noch die textilen Fragmente genauer datiert – jedoch wurde der zeitliche Rahmen anhand der Schnittlinien auf 1350 bis 1500 geschätzt.
Folgte man besagten Schnittlinien und vervollständigte sie, kam man auf folgendes Schnittmuster:
Gerade die verlegte Schulternaht nach vorn in den Brustbereich, die zwei Keile im Ärmel, ein geradezu riesiges Armloch im Rücken und die unter dem Arm eingesetzten Mini-Keile fallen dabei besonders auf.
Geschlossen wurde das Kleid durch (mindestens) sieben Knöpfe in der Front – ebenso an den Ärmeln.
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-> Ich wollte schon lange mal ein Knopfkleid haben, außerdem hatte ich gerade ein paar Meter rotes Leinen daheim rumliegen. Also nahm ich den Schnitt und damit das Kleid in Angriff.
(Ist ja nicht so, dass ich nicht genügend Projekte rumliegen hab, die fertig werden müssen, nein, ach Quatsch… So. Genug Ironie für einen Blogbeitrag.)
Die Bearbeitung dieses Kleides sollte ein erster Versuch sein, um den Schnitt zu testen und das Ganze evtl noch mal in Wolle zu nähen.
Allerdings entschied ich mich für ein paar Änderungen im Schnitt/ der Gestaltung.
Die Mini-Keile unter den Ärmeln wollte ich (der Einfachheit halber) weglassen, und das Kleid mit unauffälligen Schnürungen an den Seiten schließen – nicht mit den Knöpfen in der Front.
(Diese Entscheidung hatte praktische Gründe: Leinenkleid = etwas dünner, kühl am Abend, also zieht man ein Wollkleid drüber, dann stört die Knopfleiste in der vorderen Mitte.)
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Genug Theorie. Ran an den Speck.
1. Schritt: Grundschnitt aufstellen. Der letzte mit meinen Maßen war schon eine Weile her, und dank der „Besonderheiten“ meiner Figur muss ich immer etwas gründlicher arbeiten.
2.: Schritt: Grundschnitt kopieren, nach „Moy Bog Schema“ ändern. Das große Armloch einzuzeichnen war schon reichlich seltsam.
3.: Probeteil nähen, aus alter Baumwoll-Bettwäsche. Das lohnt sich immer, wenn man Schnitte verarbeitet, die man noch nicht kennt oder der Stoff schlicht so teuer ist, dass man Angst hat rein zu schneiden 😉
(Das passte dann soweit auch ganz gut, spannte nur – oh Wunder – ein wenig um die Hüfte.)
4.: Zuschnitt mit dem entgültigen Stoff.
Hier seht ihr den Ausschnitt vorn…
… mit den verlegten Schulternähten und der Naht in der vorderen Mitte (beides bereits ein Stück weit versäubert, um den Beleg einnähen zu können).
Der Beleg (graues Leinen) ist ein guter Weg, um eine saubere Kante am Ausschnitt zu erhalten und die Kante vorm Ausdehnen zu schützen.
Ihr könnt ihn auch ganz schmal halten (1 – 2 cm) und den Oberstoff verwenden, dann fällt er kaum auf.
-> Tja, und hier wäre die Rückansicht.
Das nennt man dann wohl „Grande Assiette excessif“.
(Nachträglich denke ich, dass es schlau gewesen wäre, die schrägen Kanten mit einem Bändchen oder zumindest einem Maschinenstepp zu sichern. Sowas fällt einem natürlich erst ein, wenn man den Blog schreibt.)
Der Ärmel mit dem großen Keil im hinteren Teil sah entsprechend abgefahren aus.
Und der erste „Einsetz-Versuch“ des Ärmels ging ordentlich schief.
(Ich stecke meine Ärmel vollständig genäht in ein geschlossenes Armloch ein, also die „Ringsherum“-Variante, nicht die, bei der man Seitennaht und untere Ärmelnaht zusammen schließt.)
Ihr seht, dass der Keil hässliche Falten wirft, irgendwie „zu viel“ ist – auf keinen Fall schön und ansprechend.
Also trennte ich die Heftnaht wieder auf (grummelnd) und dachte darüber nach, wie ich das Ärmel einsetzen besser gestalten konnte.
(Letztendlich hab ich den hinteren Keil flach liegend unter den Ausschnitt des Armlochs gesteckt, wieder geheftet, und dann mit Hand eingenäht…)
Links: neu eingehefteter Ärmel Marke „Geht doch!“, Rechts: wartet noch auf Korrektur.
Von vorn und von der Seite sahs gar nicht so doof aus… natürlich noch ungebügelt und die Seiten nur zugesteckt.
Die Falten unter dem Arm kommen von dem kleinen Keil, den ich gemäß Schnitt im vorderen Armkugelbereich eingesetzt hab.
Für einen schöneren Fall im Rock hab ich den Rockkeil in der hinteren Mitte noch ein Stück weiter nach oben gesetzt.
Außerdem steckte ich den unteren Teil der Ärmel direkt an meinem Unterarm ab, und versäuberte ihn wieder mit einem Beleg. (Mehr Stabilität für die angedachten Knopflöcher.)
Typisch für solche Projekte: wenn es die letzte Minute nicht gäbe, würde auch nichts fertig werden…
Die Knopflöcher nähte ich bei Christian am Vorabend der Veranstaltung, auf der ich das Kleid tragen wollte.
Und die Knöpfe dazu während der Fahrt (17 pro Ärmel, im Abstand von 1,5 cm), den Saum am Freitag, übers Bügeln sah ich nach Transport im Koffer mal hinweg 😀
———- Premiere! ———-
… für das Kleid, die kleine dunkelbraune Gugel und mein neues Beutelchen in dunkelblau mit Seidenquasten.
Was für eine knallige Farbe O.O (Jagdhut von Christian ausgeliehen, jetzt will ich einen eigenen…)
Fazit: Zwischendrin war mir der Schnitt ein bisschen unsympathisch, ums mal vorsichtig zu sagen. Aber das Endergebnis überzeugt doch, und ich werde mich in absehbarer Zeit an ein Moy Bog Kleid aus Wolle setzen. (Mit verstärktem Augenmerk auf den historisch korrekten Schnitt.)
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Ein herzlicher Dank geht an dieser Stelle an die wunderbare Maike und meinen Christian. Ohne die Beiden gäbs wahrscheinlich wieder keine Bilder (und erst recht nicht so schöne 🙂 ) von den neuen Sachen – ich vergess das ja immer wieder.
Abgesehen davon wars nach fast einem Jahr Pause echt schön, mal wieder zu larpen – mit ganz vielen tollen Leuten, Lachanfällen, leckerem Essen und überraschend gutem Wetter nach einem feuchtfröhlichen Aufbau.
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Quellen: